Geschichtskonstruktion und Nationsbildung
Das Forschungsprojekt untersucht den historiographischen Diskurs über die "Entstehung" und "Vergangenheit" der so genannten "Titularnationen" im postsowjetischen Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan am Beispiel von Schulbüchern für das Fach Geschichte. Dabei geht es von drei zentralen Fragestellungen aus:
Zum einen fragt es, wie in Schulbüchern für das Fach Geschichte die "Vergangenheit" der "Titularnationen", insbesondere während der Zeit des russischen Kolonialismus und der sowjetischen Herrschaft, geschildert und umgedeutet wird. Dies schließt auch die politischen Umdeutungen der "Vergangenheit" ein, die sich u. a. auf die Geschichte der jeweiligen Nachbarvölker und auf eine imaginäre Geographie des "eigenen" Nationalstaates beziehen. Einer besonderen Berücksichtigung bedarf die Rolle des Islam bei der Legitimierung der "Titularnationen".
Zum zweiten widmet sich das Projekt der Frage, ob, wie und in welchem Maße ethnische und religiöse Minderheiten, wie auch die Völker, die in der offiziellen Historiographie als quasi "historische Konkurrenten"der "Titularnationen" auftreten, repräsentiert und wahrgenommen werden.
Drittens beschäftigt sich das Projekt mit transnationalen Aspekten in der postsowjetischen Geschichtsschreibung. Wie wird die Beziehung zu Europa in diesen Ländern thematisiert? Ist sie ausschließlich über Russland zu definieren, oder gibt es andere Zugänge, sowohl neue, wie auch traditionelle? Wie richtet sich die Geschichtsschreibung in geopolitischer Hinsicht aus, nachdem die Zentralität Moskaus deutlich abgenommen hat? Dadurch wird auch deutlich, wie die Kategorien "Osten" und "Westen" heute in diesen Ländern verortet werden.
Im März 2008 absolvierte Dr. Bahodir Sidikov im Rahmen eines vom Auswärtigen Amt finanzierten Projektes eine Explorationsreise nach Almaty (Kasachstan). Er verschaffte sich einen fundierten Überblick über den Transformationsprozess in Historiographie und Schulbuchsystem, der sich seit Gründung der Republik Kasachstan vollzogen hat. Er konsultierte beteiligte Institutionen sowie Schulbuchautoren und eruierte Chancen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit. Am Ende der Reise wurde eine Erklärung unterzeichnet, in der das Georg-Eckert-Institut und das Tschokan-Valikhanov-Institut für Geschichte und Ethnographie ihren Willen zur wissenschaftlichen Kooperation zum Ausdruck brachten.
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Ergebnisse
Publikationen
- Sidikov, Bahodir (2008a): Zwischen Bourdieu und postkolonialerTheorie: Zur Analyse postsowjetischer Schulbücher für das Fach Geschichte (Am Beispiel Aserbaidschans), in: Jahrbuch Aserbaidschanforschung 2008. Beiträge aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Literatur, hrsg. von M. Aghayev & R. Suleymanova, Berlin 2008, 221-247. Auch online: orient.ruf.uni-freiburg.de/dotpub/sidikov.pdf (Stand 14.10.2009).
- Sidikov, Bahodir (2008b): ‚Aserbaidschan – Machtpoker um die Petrodollars’, in: Der Kaukasus. Geschichte – Kultur – Politik, hg. v. M.-C. v. Gumppenberg & U. Steinbach, München 2008, 49-63.
- Sidikov, Bahodir (2008c): Aserbaidschan: Revolution in Grün, in: WOZ Die Wochenzeitung, Nr. 2, vom 17.01.2008.
- Sidikov, Bahodir (2008d): Zentralasien: Minderheiten und Schulbuchsysteme, in: Eckert. Das Bulletin 4 (2008), 24-26.
- Sidikov, Bahodir (2008e): Expedition in unbekannte Welten: Zentralasien und seine Schulbücher, in: Internationale Schulbuchforschung 4 (2008), 855-881.
- Sidikov, Bahodir/ Held, Marcus (2009): Berg Karabach - Krieg der Vorstellungswelten?, in: WeltTrends 64 (2009), 51-60.Kooperationspartner: Institut für Orientalistik in Halle/S.