Historiania
Seit langem scheiden sich an der Frage der Wünschbarkeit und Realisierbarkeit eines „europäischen Geschichtsbuchs“ die wissenschaftlichen Geister. Die Pionierarbeit von Delouche et al. zu Beginn der 90er Jahre hat die Skepsis eher vergrößert. Weitere Versuche, ein solches Geschichtswerk zu schreiben, unterblieben bzw. scheiterten. Kann heute angesichts des Zurücktretens essentialistischer Europa-Perzeptionen, die in Meister-Narrativen das „Wesen“ Europas erfassen wollten, ein neuer konzeptioneller Lösungsansatz gefunden werden? Eröffnet evtl. im Verbund damit die neue Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) die Möglichkeit, die Geschichte und das Kulturerbe Europas Schülern so zu präsentieren, dass die negativen Effekte, die einer Printversion des „europäischen Schulbuchs“ unvermeidlich anhaften, minimiert werden können?
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Ziele
Das federführend von EUROCLIO auf den Weg gebrachte Projekt „Historiana“ unternimmt dazu einen neuen Anlauf. Es wird gefördert von der EU im Rahmen des Comenius-Programms sowie durch die Anna Lindh Foundation. Das GEI ist als Partner beteiligt, zusammen mit anderen Wissenschaftsinstituten, NGO’s, europäischen pädagogischen Dachorganisationen, Museen und Archiven aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland. Entstehen soll eine interaktive, multimediale Online-Plattform, die das Lernen und Lehren übergreifender Themen der europäischen Geschichte ermöglicht. Angestrebt wird keine umfassende Darstellung der Geschichte, sondern deren Begehbarmachung anhand von Schneisen entlang von Zeit oder Raum. Seit Ende 2009 wird daran gearbeitet. Die bereits freigeschaltete Website http://historiana.eu gibt einen konkreten Einblick in Struktur und Funktionsweise. Kern der Plattform ist eine Datenbank mit Unterrichtsmaterialien, die didaktisch aufbereitet sind und sich komplementär zu den landläufigen Lehrplänen in Geschichte und Geographie verhalten. Sie sind angelegt auf innereuropäischen Vergleich und multiperspektivische Betrachtung. Statt einer „korrekten“ Sichtweise der Geschichte wird ein transkultureller Dialog über geschichtliche Fragen angestrebt.
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Vorgehensweise
Die Projektkonzeption lässt sich leiten von modernen Postulaten der Geschichtsdidaktik wie Integration von Fremdwahrnehmung ins eigene Weltbild, dialogische Erarbeitung von Geschichtsinterpretationen, Abkehr vom Absolutheitsanspruch, interaktive Lernformen und Verbindlichkeit pluraler und offener Interpretationsangebote. Aus dem geschichtswissenschaftlichen Diskurs entnimmt das Projekt Argumente für die thematische Schwerpunktsetzung, die sich an den Begriffen „Interdependenzen“, „Migration“, „Kolonialismus“ und „Sozialgeschichte“ festmacht. Außerdem wird methodisch der komparative Ansatz in vielfältigem Maße herangezogen, da dadurch der Anspruch, europäische Einheit durch Vielfalt aufscheinen zu lassen, am ehesten erreicht werden kann. Audiovisuelle Quellen und Internet-Angebote sollen starke Berücksichtigung finden. Das GEI war bei der Konzeption beteiligt und wirkt in der „Projekt Advisory Group“ und im „Editing Team“ mit. Einzelne GEI-Wissenschaftler treten als Autoren in Erscheinung.
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Ergebnisse
- Beratung bei der Erstellung von Materialien, Test und Beurteilung von Lehrmaterialien, Workshop in Braunschweig, siehe http://historiana.eu/