Lehrplan der Versöhnung? Neuer Geschichtsunterricht in Südafrika
Hintergrund
Seit dem Ende der Apartheid 1994 hat die südafrikanische Gesellschaft einen umfassenden Reformprozess unternommen. Ziel war und ist die Bildung einer demokratischen, multi-kulturellen Gesellschaft. Die Reformen haben fast jeden Bereich des Alltags immens beeinflusst. Die erste Post-Apartheid-Regierung versuchte, die ungerechten sozialen Handlungsmaximen der Vergangenheit aufzulösen und erkannte das Erziehungssystem als Schlüsselfeld für eine erfolgreiche Reorganisation des Staates.
Ein wichtiges Feld stellte hierbei der Geschichtsunterricht dar, in dem typischerweise nationale Narrative gefestigt bzw. gewandelt werden. Die alles überragende Frage war, wie Südafrika mit seiner eigenen Vergangenheit umgehen kann, ob das Geschehene und das Grausame offen benannt oder ein historischer „Schnitt“ gemacht werden solle, welcher einen Neubeginn im Verhältnis der ethnischen Gruppen erlaubt. Umfassende akademische und öffentliche Diskurse fanden statt – in Zeitungen, auf den Straßen und in Hörsälen. Auch das Georg-Eckert-Institut nahm an diesen Debatten der frühen 1990er Jahre teil, indem es Konferenzen zu Fragen der Gestaltung neuer Schulbücher organisierte.
Ab 1995 wurde in mehreren Schritten der Lehrplan im Fach Geschichte erneuert. Dieser Weg war ein durchaus holpriger. Die eingeschlagenen Änderungen stießen bei Lehrern und Didaktikern auf wenig Gegenliebe und fanden – wenn überhaupt – nur schleppend Umsetzung in der stark heterogenen Schullandschaft des Landes. Die Situation schien allzu verworren: Hatte die Politik noch 1998 völlig neue Lehr- und Lernparadisgmen unter dem einstmals futuristischen Namen „Curriculum 2005“ ausgerufen, mussten viele Änderungen rückgängig gemacht und an die schulischen Praktiken angepasst werden. Im Jahr 2011 wurde somit der vierte Lehrplan (!) innerhalb von nur 16 Jahren erlassen.
Vorgehensweise
Vor diesem Hintergrund arbeitete das Projekt den Umgang mit der Vergangenheit im Bildungswesen auf. Die Studie untersuchte hierbei die Umstände und Entstehungsgeschichte des Lehrplans, der wie in kaum einem anderen Fach ideologisch und „sinngebend“ geladen ist. Studien zum südafrikanischen Lehrplan fanden bislang vor allem im Rahmen von Policy-Analysen statt. Deswegen gibt es allgemein wenig Wissen, wie die Unterrichtssituation „funktioniert“ und wie Schüler in Südafrika auf die eigene Geschichte reagieren – vor allem, wenn diese potenziell „gefährliche“ Inhalte einschließt.
In einem zweiten Schritt unternahm die Studie daher eine umfassende ethnographische Untersuchung der gängigen Praktiken des Geschichtsunterrichts zur jüngeren südafrikanischen (Apartheid-) Geschichte. Dieser Teil der Forschung untersuchte den Umgang der Jugendlichen in ihrer Peer-Group, den nicht-formellen Informationsaustausch und mögliche Konfliktfelder bzgl. jüngerer südafrikanischer Geschichte.
Ergebnisse
- Hues, Henning, Same Textbooks – Different Perspectives. Discussing apartheid in two very different South African school settings. In: Naseem, N. Ayaz (Hrsg.), Representation of minorities in textbooks, curricula and educational media, Rotterdam: Sense (2013, im Erscheinen)
- Hues, Henning, "Mandela, the Terrorist. Intended and hidden history curriculum in South Africa", in: Journal for Educational Media, Memory and Society 3 (2), 2011, 74-95.
- Hues, Henning & Katalin Morgan, "The raising of the flag in ‘Volkstaat’ Orania: Perspectives on a school ceremony", in: Education as Change 14 (1) 2010, 33–46.