Migration in Schulbüchern: Ein komparatives Forschungsprojekt
In den letzten Jahrzehnten ist Migration weltweit zu einer wichtigen Frage geworden, vor allem auch in westeuropäischen Ländern. Europa ist historisch wie aktuell ein Kontinent, der vielfältige Formen der Migration aufweist. Die EU-Erweiterung, kontinuierliche Familienzusammenführung, die vorsichtige Öffnung der Arbeitsmärkte, die Entkolonialisierung, der Zusammenbruch des sowjetischen Systems und das Ende des Kalten Krieges sowie die anhaltende Brisanz weltweiter Flüchtlingsströme verdeutlichen, dass auch in den nächsten Jahrzehnten mit Einwanderung zu rechnen ist. Integration und inter-ethnisches Zusammenleben wie auch zukünftige Zuwanderung bzw. Rückwanderung stellen eine wichtige und brisante Gestaltungs- und Entwicklungsaufgabe der europäischen Gesellschaften, vordringlich auch im Bereich der Bildungssysteme, dar. Die ursprünglich als kurzfristig gedachten Probleme der Aufnahme und Integration von Zuwanderern erweisen sich inzwischen als langfristige gesellschaftliche, politische und kulturelle Aufgaben, für die die Gesellschaften Europas unzureichend und unterschiedlich ausgerüstet sind.
Die Bewegung von Menschen über Grenzen und Räume hinweg wird auch im 21. Jahrhundert ein prägendes Charakteristikum Deutschlands und Europas bleiben. Soziale, kulturelle und demographische Vielfalt werden in der Zukunft eher zu-, als abnehmen. Das Europa der Zukunft wird stärker durch die Vielfalt und Differenz von Personen, Gruppen und Kulturen geprägt werden. Pluralität wird ein zentrales Moment künftiger kollektiver Identitäten sein. Diese Pluralität wird nicht zuletzt eine durch Migration geprägte Vielfalt sein.
Im Gegensatz zu typischen Einwanderungsgesellschaften wie den Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien, wurden und werden Einwanderer in europäischen Ländern oft über langanhaltende Perioden als Fremde empfunden, entsprechend stigmatisiert, benachteiligt und ausgegrenzt. Innerhalb der europäischen Nationalstaaten, nationaler Kulturen und nationaler Öffentlichkeiten ist die Vielfalt der europäischen Vergangenheit und Gegenwart als Einwanderungsgesellschaften oftmals nicht oder nur unzureichend im Bewußtsein. Um den vielfältigen Herausforderungen gewachsen zu sein, bedarf es verstärkter und neuartiger Initiativen nicht zuletzt im Bereich der Bildungssysteme.
Wenn das (gesellschaftlich notwendige und ja auch erwünschte) Miteinander in einer interethnisch und interkulturell zusammengesetzten Gesellschaft, wie es Deutschland nun einmal schon lange ist, erfolgreich sein soll, so muß sich auch an den Schulbüchern einiges ändern.
Im Projekt ging es um den Umgang mit der Geschichte der Migration und Einwanderung in verschiedenen europäischen Ländern, wie er sich in Lehrmaterialien seit 1945 darstellt. Die wichtigsten Formen der Wanderung, welche die europäische Nachkriegsgeschichte prägten, sind Flucht, Vertreibung, koloniale Repatriierung, Arbeitsmigration, ethnische Migration ("Repatriierung" ko-ethnischer Minderheiten in ihre Ursprungsländer, z.B. die Zuwanderung von Aussiedlern nach Deutschland) sowie die illegale Migration. Zentral war die Frage nach der Rezeption des durch Migration hervorgerufenen Wandels im nationalen Selbstverständnis und in der Wahrnehmung von Fremden sowie den Rückwirkungen auf diese.
In dem Projekt wurden die Themen Migration, Einwanderungsgesellschaft und inter-ethnisches (interkulturelles) Zusammenleben nach 1945, wie sie sich in Lehrmaterialien in ausgewählten Ländern darstellen, untersucht. Dabei ging es im besonderen darum,
- wie in den einzelnen Ländern die Themen Migration - Einwanderungsgesellschaft - inter-ethnisches Zusammenleben nach 1945 dargestellt wurden und werden;
- welche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern festzustellen sind;
- welche Erklärungsansätze für die unterschiedliche Wahrnehmung von Migranten und Einwanderern und das inter-ethnische Zusammenleben zu finden sind;
- welche Tendenzen zur gesellschaflichen Kohäsion und zur Integration von Migrant/inn/en sich in den jeweiligen Aufnahmegesellschaften andeuten, und welche Maßnahmen aufgezeigt werden.
Veröffentlichungen
- Hanna Schissler: Toleranz ist nicht genug. Migration in Bildung und Unterricht, in: Reflexion und Initiative. Band IV zur Arbeit der Körber-Stiftung, Hamburg, 2004, S. 39-50
Aktivitäten
Im November 2005 fand in Berlin eine Tagung zur historisch-politischen Bildung in der Einwanderungsgesellschaft statt: Chancen - Perspektiven - Herausforderungen. Die Veranstalter waren das Georg-Eckert-Institut und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft in Kooperation mit dem Netzwerk Migration in Europa e.V.