Mythos Kreuzzüge: Die Konstruktion der Nation und Europas im Geschichtsdiskurs zwischen 1780-1918
Ausgangshypothesen des Projekts
- Die mit dem Topos der Kreuzzüge verbundenen Vorstellungen weisen ein erhebliches politisches und kulturelles Mobilisierungspotential auf, denn sie bilden bis heute einen zentralen Bezugspunkt in der Wahrnehmung von „christlichem Okzident“ und „islamischem Orient“.
- Die Kreuzzüge werden als paradigmatisches Ereignis in einer überwiegend konfliktzentrierten Betrachtung der Begegnung zwischen Christen und Muslimen, zwischen „Europa“ und „den Anderen“ wahrgenommen.
- Wenn auch die Glorifizierung der Kreuzzüge insbesondere nach den zwei Weltkriegen stark abgenommen hat, so gelten sie doch in einer europäischen Perspektive noch heute häufig als Verkörperung westlichen Heldenmuts sowie als Ausgangspunkt gemeinsamer europäischer politisch-kultureller Anstrengungen und folglich als gemeinsame historische Tradition.
- Gleichzeitig gehören die Kreuzzugsnarrative des langen 19. Jahrhunderts zu den zentralen Erzählungen der Nationsbildung und zur Abgrenzung von anderen europäischen Nachbarn.
Diese diskursive Spannung, die aus den Verschränkungen von nationalen und europäischen Identitätskonstruktionen resultierte, war Ausgangspunkt der Untersuchungen des Forschungsprojekts.
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Ziele
- Untersuchung der Kontinuitäten und Diskontinuitäten von Geschichtsdeutungen der Kreuzzüge in deutschen Staaten und dem Kaiserreich einerseits und Frankreich andererseits.
- Untersuchung von Verflechtungen und kulturellen Übersetzungen auf zwei Ebenen: zum einen zwischen den verschiedenen geschichtsbildenden medialen Arenen (der historische Forschung und Schulbuchnarrative) und zum anderen zwischen den beiden Ländern.
- Untersuchung der Kontinuitäten und Diskontinuitäten von Geschichtsdeutungen der Kreuzzüge in deutschen Staaten und dem Kaiserreich einerseits und Frankreich andererseits.
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Ergebnisse
Politischer und kultureller Hintergrund: Aufstieg des Nationalismus
- Ein erster Impuls für eine breite historiographische Beschäftigung mit den Kreuzzügen ging von den Expeditionen Napoleons nach Ägypten und Palästina aus. Mit ihnen begann eine neue Epoche euphorisch geprägter europäischer Wahrnehmung der Kreuzzüge. Sie war für säkulare wie für christlich-konservative Historiker gleichermaßen typisch.
- Bestätigt hat sich die These, dass die moderne Geschichtsschreibung wissenschaftsgeschichtlich eng mit der Entstehung des Nationalismus verbunden ist.
- Der Zusammenhang von Nationalismus und Kreuzzugsnarrativen lässt sich an den nationalistisch kodierten Zielen und Werten, der Denk- sowie Argumentations- und Handlungsmuster, die über die Kreuzzugsnarrative des Untersuchungszeitraums vermittelt wurden, ablesen.
- Die Bedeutung der mittelalterlichen Kreuzzüge für Europa, die Entwicklung seiner Nationen und des Mittelmeerraums wurde sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch im Schulbuch durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch maßlos überschätzt.
- Kreuzzugsdarstellungen können für das 19. Jahrhundert als Diskursraum zeitgenössischer Historiker verstanden werden, in dem Konzeptionen und Sinnmuster des europäischen Orientalismus narrativ reproduziert bzw. inkorporiert wurden, um aktuelle Ereignisse des europäischen Kolonialismus aus christlicher Perspektive historisch-politisch zu legitimieren.
(Supra- und sub-) nationale Kreuzzugsnarrativ
- Kreuzzugsdarstellungen des 19. Jahrhunderts erweisen sich als ausgesprochen wandelbare Narrative, die säkulare und christliche Konzepte sowie europäische, koloniale oder nationale Ordnungsvorstellungen in eine historische Meistererzählung integrieren konnten.
- Die neue Dichotomie von Orient und Okzident eröffnete die Möglichkeit, sowohl an christliche als auch an säkulare Kreuzzugsnarrative und die damit verflochtenen kolonialistischen Argumentationen anzuknüpfen. So entstanden aus verschiedener politischer, konfessioneller, nationaler oder regionaler Perspektive jeweils eigene Beiträge zu den europäischen Kreuzzugserzählungen.
- Die in der Aufklärung gipfelnde Kritik an den Kreuzzügen seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert wurde von Historikern, Intellektuellen und Machthabern des 19. Jahrhunderts nicht geteilt; sie sahen den Topos der Kreuzzüge vielmehr als ein angemessenes Symbol für die zeitgenössische politische Landschaft im historischen Diskurs.
Christliches Kreuzzugsnarrativ
- Am Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich die Neokreuzzugsideologie mit einem geschichtstheologischen Eifer gepaart, welcher die Kreuzzüge als Werke Gottes ansah. Vertreter dieses christlichen Narrativs bekämpften die Säkularisierung und entwarfen eher christlich-europäische denn nationale Kreuzzugsnarrative.
- Trotz deutlicher Wandlungen in den Geschichtskonzeptionen fungierte das Christentum im 19. Jahrhundert nahezu durchgehend als einheitsstiftender Wert für Nationskonzepte und Europavorstellungen.
Koloniales Konzept der Kreuzzüge
- Mit der Hinwendung zum Historismus erhielten überwiegend theologische Interpretationen allerdings Deutungskonkurrenz: Die ursprünglich christliche Kreuzzugsidee wurde säkularisiert, historisiert und in koloniale Konzepte eingebunden.
- Säkular orientierte Historiker haben christlich überlieferte Kreuzzugsmythen mit wissenschaftlich-rationaler Analyse zwar dekonstruiert, die darin aufzufindenden kolonialistischen Perspektiven jedoch weiter geschärft.
- Die neue laizistische Interpretation unterschied sich von christlichen Deutungen insbesondere dadurch, dass die gewaltsamen Interventionen nicht mehr mit einem historischen Anspruch des Christentums auf Palästina, sondern mit dem “moralischen Recht” Europas, die “Anderen” zu zivilisieren, legitimiert wurde.
- Die Nationalisierung der Kreuzzugsnarrative lässt sich in beiden Untersuchungsländern nachweisen, aber jeweils mit anderen Konnotationen: In Frankreich dominierte das säkulare Konzept der Zivilisationsmission, während die deutsche Geschichtsschreibung das Konzept einer mittelalterlichen, national organisierten Weltherrschaft den zentralen Interpretationsrahmen bildete.
Persistenz christlich-nationaler Kreuzzugsnarrative in Schulbüchern
- In den Geschichtsschulbüchern schlugen sich diese Entwicklungen nur partiell nieder; hier findet sich auch am Ende des 19. Jahrhunderts – neben nationalen und imperialen Argumentationen – eine weitgehend ungebrochene religiöse Kreuzzugssemantik.
- Die Kreuzzugsnarrative der französischen Schulbücher und historiographischen Literatur entsprachen den im 19. Jahrhundert vorherrschenden Geschichtsbildern der „deux France“, die royalistisch-konservative Anhänger des Ancien Régime und republikanisch-progressive Verteidiger der Aufklärung und der Revolution von 1789 gegenüberstellten.
- Diese Imaginationen der französischen Nation lassen sich insofern den christlichen und säkularen Deutungsmustern der Kreuzzüge unterordnen, als sie Frankreich einerseits als „älteste Tochter“ der katholischen Kirche und als Missionarin Europas wie der restlichen Welt und andererseits als Wiege der Zivilisation, Erbin und Bewahrerin der großen griechischen und römischen Kulturen präsentierten.
Die Bilder vom „Anderen“
- In den Kreuzzugsnarrativen des 19. Jahrhunderts wurden grundlegende Beschreibungen eines „außereuropäischen Anderen“ generiert. Die Konstruktionen „der“ Araber, Türken oder Griechen bedienten sich dabei auch solcher Elemente, die zum kulturellen Wissen des Mittelalters sowie von Renaissance oder Aufklärung gehörten.
- Für die deutschen Schulbücher lässt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Radikalisierung erkennen, zunehmend wurde mit christlichem Enthusiasmus ein heiliger Kampf gegen die „Barbaren des Orients“ antizipiert.
- In den wissenschaftlichen Werken zeigen sich hingegen gegenläufige Tendenzen. Hier finden sich Wertungen über Muslime und den Orient, die als Versuche gedeutet werden können, die kulturelle Bedeutung des Islam für die mediterranen Gesellschaften angemessener darzustellen als das noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fall war.
- Französische Geschichtsschulbücher sind in der Gesamtschau nicht so weitreichend mit radikal-christlichen Narrativen durchsetzt wie deutsche. Es finden sich durchaus gewichtige Stimmen, die als eine moderate Kritik an dem Bild des „barbarischen Orient“ gelesen werden müssen. Sie würdigen die zivilisatorische Leistungen der arabischen bzw. muslimischen Welt im Kontakt mit der schwächer entwickelten christlichen Kultur des europäischen Mittelalters.
- In der Mehrzahl der Texte über die Kreuzzüge aber wird das Christentum als Erbe der Antike zum Träger der Zivilisation erklärt, dem der Islam als Verkörperung der orientalischen Despotie und als antizivilisatorisches Prinzip gegenüberstünde. In der Logik dieser Argumentation geraten die Kreuzzüge zum Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung des zivilisierten Europas mit den gewalttätigen Truppen des Islam.
- Ein erster Impuls für eine breite historiographische Beschäftigung mit den Kreuzzügen ging von den Expeditionen Napoleons nach Ägypten und Palästina aus. Mit ihnen begann eine neue Epoche euphorisch geprägter europäischer Wahrnehmung der Kreuzzüge. Sie war für säkulare wie für christlich-konservative Historiker gleichermaßen typisch.