band_120
Publikationen

Madlen Benthin: Die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. Deutsche und tschechische Erinnerungskulturen im Vergleich

Band 120

2007. 155 S. ISBN 978-3-88304-320-3, 9,00 €

Der Begriff Erinnerungskultur reflektiert gesellschaftlich Kommunikation über die Vergangenheit. Die Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel- und Südosteuropa hat im bundesrepublikanischen Geschichtsdiskurs ihren angestammten Platz. Als Thema war sie selten zentral, aber äußerst beständig, und stets in der Lage, eine große gesellschaftliche Resonanz hervorzuheben.
In einer seit langem nicht mehr zu beobachtenden Intensität widmen sich gegenwärtig vor allem die Medien diesem Thema. Das Abtreten der Zeitzeugen-Generation ruft die Frage nach einer musealen Repräsentation der Vertreibung auf den Plan. Die darüber geführten Diskussionen werden von dem Vorwurf beherrscht, es würde der Versuch einer Neukonturierung der bundesdeutschen historischen Identität unternommen. Es geht um die Integration von Opfererfahrung in ein kollektives Gedächtnis, das bislang vorrangig aus der Verantwortung deutscher Täterschaft geformt war. Die Revitalisierung des Vertreibungsdiskurses ist keineswegs als ein rein deutsches Phänomen anzusehen. In ostmitteleuropäischen Ländern sowie in Griechenland und der Türkei lassen sich momentan ebenfalls Debatten beobachten, welche sich mit der historischen Erfahrung von Vertreibung, ihren Hypotheken und Traumata beschäftigen.
Gegenstand dieser Publikation ist die Frage, wie derartige Diskurse in der Historiographie und Öffentlichkeit verlaufen und wie Geschichtslehrbücher im Besonderen darauf reagieren. In einem sowohl chronologisch als auch regional angelegten Vergleich wird die Beschäftigung mit dem Vertreibungsthema in der alten und wiedervereinigten Bundesrepublik, der DDR und der Tschechischen Republik seit den 1950er Jahren nachgezeichnet. Das Schulbuch spielt in jedem politischen System eine tragende Rolle bei der Tradierung von historischem Wissen und leistet aufgrund seiner Breitenwirkung auch heute noch einen wesentlichen Beitrag bei der Ausformung kulturell begründeter Selbstbilder. Es ist als Element von historischer Sozialisation und Bewusstseinsbildung letztlich selbst Teil der Erinnerungskultur einer Gesellschaft. Als kategoriales Raster der Schulbuchanalyse dienen vier analytische Themenfelder: Ideengeschichte und Grundlagen von Vertreibung; Genese, Motive und Ziele der Umsiedlungs- und Vertreibungspläne; Verlauf der Vertreibungen; Folgen für Herkunftsgebiete, Aufnahmeländer und Betroffene.

Inhaltsverzeichnis


sroll-to-top