Die Darstellung jüdischer Geschichte, Kultur und Religion in Schulbüchern und Geschichtsmagazinen seit den 1970er Jahren
Verbundprojekt „Das Objekt zum Subjekt machen. Jüdische Alltagskultur in Deutschland vermitteln“
Das Verbundvorhaben verfolgt das Ziel, zur nachhaltigen Bekämpfung des Antisemitismus kulturgeschichtliche Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Schulbuchforschung produktiv zu verbinden und deren Ergebnisse praxisbezogen für Lehrkräfte und Multiplikator*innen der historisch-politischen Bildung aufzubereiten. Dabei werden Juden und Judentum in Deutschland nicht primär als Objekte von Diskriminierung, Hass und Vorurteilen verstanden, sondern vielmehr als Subjekte mit pluralen religiösen, weltlichen und politischen Selbstverständnissen. Das Projekt geht davon aus, dass die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland zu einer Engführung jüdischer Geschichte auf einen vermeintlich ausschließlichen Erfahrungszusammenhang von Verfolgung, Antisemitismus und Holocaust geführt hat, hinter dem die Pluralität jüdischen Lebens in Europa zurücktritt. Dieser Problematik isolierender Betrachtungsweisen und stereotyper Wahrnehmungen soll mittels dreier, aufeinander aufbauender Projektbausteine begegnet werden, deren Realisierung in einer interdisziplinären Forschungs- und Transferkooperation erfolgt:
Baustein I (bearbeitet am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (DI)) vermittelt in vier Essaybänden und einem „Digitalen Katalog“ Wissen über die Geschichte und Gegenwart jüdischer Alltagskultur in Deutschland. (Projektleitung: Prof. Dr. Yfaat Weiss; Projektkoordination: Dr. Philipp Graf)
Baustein II (bearbeitet am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut (GEI)) problematisiert in einer wissenschaftlichen Monographie objektivierende Darstellungen von Juden und Judentum in Geschichtsschulbüchern sowie in ausgewählten populären geschichtsvermittelnden Magazinen seit den 1970er Jahren in Deutschland. (Projektleitung: Dr. Dirk Sadowski; Projektbearbeitung: Dr. Matthias Springborn)
Baustein III transferiert die Ergebnisse der beiden erstgenannten Vorhaben in drei Themenhefte als Lehrmaterialien, in Fortbildungen sowie in Empfehlungen für Schulbuchautor*innen. (Projektleitung: Dr. Helge Schröder)
zum Teilprojekt am GEI
In diesem Forschungsprojekt wird die Verbreitung stereotyper Vorstellungen von Juden und Judentum in Geschichtsschulbüchern und Geschichtsmagazinen in ihrer Entwicklung und Interdependenz seit den 1970er Jahren in Deutschland untersucht. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie stereotype Vorstellungen sich im Bereich der Bildung festsetzen und gegebenenfalls zu antisemitischen Vorurteilen verfestigen können. Das Vorhaben versteht sich als im Bereich der Schulbuchforschung angesiedeltes, kultur-, medien- und erziehungswissenschaftliche Ansätze einbeziehendes Komplementärprojekt zu den Fallstudien von Projektbaustein I.
Ziele
Stereotype Darstellungen von Juden und Judentum finden sich in Wort und Bild häufig in Geschichtsschulbüchern, sei es in Kapiteln zur Geschichte des Mittelalters, des 19. Jahrhunderts oder etwa Israels im Kontext des Nahostkonflikts. Sie bergen die Gefahr einer verzerrten Wahrnehmung des historischen und gegenwärtigen Judentums und damit der Beförderung entsprechender Vorurteile bei Schüler*innen. Das am GEI angesiedelte Teilvorhaben untersucht daher erstens die Darstellung von Juden und Judentum in (bundes-)deutschen Geschichtsschulbüchern.
Auch populäre geschichtsvermittelnde Magazine bedienen sich häufig verkürzender bis verzerrender Darstellungen, wenn sie Themen jüdischer Geschichte aufgreifen. Da die sprachlichen und visuellen Darstellungsweisen der Magazine denen der Schulbücher oft auffällig ähneln und viele von ihnen ein interessiertes Fachpublikum aus dem Bereich von Erziehung und Bildung direkt adressieren, stellt sich die Frage nach ihrer Rolle als Reservoir, Verstärker oder Referenzquelle möglicher stereotyper Vorstellungen in Geschichtsschulbüchern. Daher werden in diesem Teilvorhaben zweitens Repräsentationen von Juden und Judentum in ausgewählten populären geschichtsvermittelnden Magazinen analysiert.
Vorgehensweise
Von der Annahme eines Wandels der Repräsentationen von Juden und Judentum in den vergangenen Jahrzehnten ausgehend, wird ein diachroner Zugriff gewählt. Hierzu erfolgt eine Bestandsaufnahme und Analyse entsprechender Repräsentationen in den Schulbüchern und Geschichtsmagazinen anhand eines begrenzten, repräsentativen Korpus in etwa drei zeitlichen Querschnitten entlang von Zäsuren in den (fach-)öffentlichen, erinnerungskulturellen und auf das Verhältnis zu Israel bezogenen Diskursen der Bundesrepublik.
Die dadurch entstehenden, zu den jeweiligen Zeitabschnitten gehörenden Samples bzw. Einzel-Korpora werden mit Hilfe von digitalen Analyse-Werkzeugen wie MAXQDA in Bezug auf konkrete Themen und Inhalte sowie mit Blick auf verwendete sprachliche Muster quantitativ und qualitativ ausgewertet. In weiteren Schritten werden mit Hilfe dieser Tools mögliche intermediale Bezüge zwischen den Schulbüchern und Geschichtsmagazinen identifiziert und analysiert.
Ergebnisse
Erste Ergebnisse wurden im Rahmen eines für die Sommerakademie 2022 des Forschungsnetzwerks Antisemitismus im 21. Jahrhundert (FonA21) durchgeführten Workshops präsentiert.
Die Ergebnisse dieses Teilprojekts werden in Form einer wissenschaftlichen Monographie publiziert.