Wo liegen die Grenzen des Sagbaren in afghanischen Diskursen?
Dieses Projekt untersuchte die Darstellung von Geschlechtern in zwischen 2001 und 2021 erschienenen afghanischen Schulbüchern und Romanen. Die Situation von Frauen in Afghanistan war, wenig überraschend, eine unangenehme, aber interessante, wenn es um die Emanzipation der Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter und soziale und politische Teilhabe ging. In den letzten zwei Jahrhunderten hatte Afghanistan mindestens sechs Regimewechsel erlebt, die jeweils radikale Auswirkungen auf die sozioökonomische Entwicklung des Landes hatten. Die politische Identität dieser Regime kristallisierte sich größtenteils an ihrer Haltung zu Geschlechterfragen heraus. Sie verfolgten in diesem Bereich jeweils eine radikal unterschiedliche Politik, die mit unterschiedlichen Konzepten des Islam, der Tradition oder der Moderne begründet wurde. Sie alle machten die von ihren jeweiligen Vorgängern ergriffenen Maßnahmen rückgängig, wurden jedoch schließlich von politischen Rivalen gestürzt. Die Definition einer gesellschaftlich akzeptablen, politisch durchsetzbaren und international anerkannten Geschlechterpolitik in Afghanistan war folglich immer noch ein unvollendetes Projekt. Einige dieser Regime förderten die Gleichstellung der Geschlechter und ermöglichten es den Frauen, Fortschritte zu machen. Diese Entwicklungen wurden jedoch durch die nachfolgenden Regimewechsel wieder rückgängig gemacht. Somit war der Fortschritt der Frauen in Afghanistan eher ein zirkulärer als ein linearer Prozess.
-
Ziele
Eine genaue Analyse von Gender-Diskursen konnte zum Verständnis des Aufstiegs und Niedergangs der Islamischen Republik Afghanistan (2001–2021) beitragen. Die politischen Eliten dieses Regimes verfolgten offensichtlich eine gemäßigte Politik, die auf Kompromissen und dem Ausgleich zwischen konkurrierenden politischen Lagern sowie zwischen lokalen und internationalen Interessengruppen beruhte. In diesem Projekt wurde untersucht, inwieweit das republikanische System die Gleichstellung der Geschlechter verankert hatte und wie Männer und Frauen in den Schulbüchern dargestellt wurden. Während die Produktion von Schulbüchern bestimmten Regeln folgen musste und an bestimmte Grenzen stieß, wurde auch die Literatur untersucht, um literarische, populäre und allgemein gesellschaftliche Perspektiven auf Frauen zu ergründen.
-
Vorgehensweise
Dieses Projekt untersucht die Geschlechterkonstruktion und den Geschlechterdiskurs in zwei unterschiedlichen Medien:
Schulbücher
Das Projekt analysierte Schulbücher von der ersten bis zur zwölften Klasse für Politik und von der vierten bis zur sechsten Klasse für Sozialkunde, da erwartet wurde, dass diese Bücher Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterpolitik explizit thematisierten. Zusätzlich wurden Schulbücher für Dari, Englisch und Mathematik einbezogen, die möglicherweise implizit zur Normalisierung von Geschlechterkonstruktionen beitrugen.
Romane
Um möglichst viele verschiedene Perspektiven zu integrieren, konzentrierte sich das Projekt auf Autor*innen mit unterschiedlichem Hintergrund in Bezug auf Geschlecht, ethnische Identität und Generationszugehörigkeit. Ausgewählt wurden Bücher, die zu verschiedenen Zeitpunkten mit mehr oder weniger großen Hoffnungen auf eine authentische demokratische Zukunft veröffentlicht worden waren. Es wurden sowohl Bestseller als auch Bücher berücksichtigt, die ein eher begrenztes intellektuelles Publikum ansprachen.
Analytischer Ansatz
Um die Unzulänglichkeiten vieler Studien zum Thema Geschlecht in Schulbüchern zu überwinden, kombinierte das Projekt systematisch quantitative und qualitative Ansätze und führte eine multimodale Analyse durch, bei der sowohl Texte als auch Bilder untersucht wurden.
Auf quantitativer Ebene wurde eine Häufigkeitsanalyse durchgeführt, bei der gezählt wurde:
(i) wie oft Männer und Frauen erwähnt wurden, (ii) wie oft sie als aktive Akteure oder als passive Objekte beschrieben wurden, (iii) welche Tätigkeiten ihnen zugeschrieben wurden, (iv) in welchen Lebensbereichen diese Tätigkeiten angesiedelt waren.
Auf qualitativer Ebene und unter Bezugnahme auf die Post-Foundational Discourse Analysis wurde untersucht: (i) welche Politiken der diskursiven Positionierung durch den Ein- oder Ausschluss sowie durch die Rahmung bestimmter Themen betrieben wurden, (ii) inwieweit unterschiedliche in der afghanischen Gesellschaft artikulierte Positionen reflektiert wurden, (iii) welche Subjektpositionen den Leser*innen zugeschrieben wurden.
Im Einklang mit narrativen Ansätzen wurde darüber hinaus untersucht: (i) wessen Erfahrungen einbezogen oder ausgeschlossen wurden, (ii) aus wessen Perspektive Geschichten erzählt wurden.
-
Ergebnisse
Im Rahmen des Projekts war die Veröffentlichung von zwei bis drei begutachteten Artikeln in Fachzeitschriften geplant.
- Ein erster Artikel mit dem Titel „World-local culture clash and compromise: the nominal gender equality discourse in Afghanistan school textbooks (2001–2021)“ befindet sich im Begutachtungsprozess beim Journal of Educational Media and Memory Studies (JEMMS).
- Ein zweiter Artikel mit dem Arbeitstitel „Gender in Afghanistan school textbooks: a nation without women“ wird aktuell verfasst.