Gedenken: Władysław Markiewicz im Alter von 97 Jahren verstorben
„Ich träume auch vom KZ. Ich erzähle nicht gerne davon, auch meinen Kindern nicht […]. Aber man braucht eine Kompensation. Für mich waren Kompensation die 12 Jahre in der deutsch-polnischen Schulbuchkommission; das war meine Rache an denen, die mich im Konzentrationslager zerstören wollten.“ (W. Markiewicz, 2.12.1995)
Władysław Markiewicz wurde 1920 in Ostrów in Großpolen geboren. 1941 kam er als Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft nach Hessen und im Rahmen eines Bauzugs in die Wiener Neustadt. Ende 1941 wurde er wegen konspirativer Tätigkeiten zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, durch die er unter anderem etwa zwei Jahre im KZ Mauthausen-Gusen inhaftiert war. Nach dessen Befreiung kämpfte er in den polnischen Streitkräften in Italien und England und kehrte 1947 nach Polen zurück. Nach dem Krieg studierte er Soziologie an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen/Poznań (UAM). 1962 wurde er, ein Jahr nach seiner Habilitation, Direktor des Instituts für Soziologie der UAM und spezialisierte sich vor allem auf die Geschichte der Soziologie und auf Fragen der politischen Kultur, besonders auch der Bundesrepublik Deutschland. In den Jahren 1966–1973 war er Direktor des West-Instituts Posen, ab 1972 Professor für Soziologie an der Universität Warschau. In den Jahren 1972-1983 war Władysław Markiewicz Sekretär der Sektion Gesellschaftswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN), Mitglied des Präsidiums der PAN 1972-1989 und deren Vize-Präsident 1984-1989.
Von der ersten deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz im Februar 1972 an fungierte Markiewicz als Vorsitzender der polnischen Seite und wurde demzufolge auch zu einem stellvertretenden Präsidenten der Polnischen UNESCO-Kommission ernannt. Nachdem Georg Eckert und er bis zu Eckerts Tod Anfang 1974 die Arbeit der Schulbuchkommission institutionalisiert und gefestigt hatten, bildeten in den Jahren 1974-1984 Władysław Markiewicz und Walter Mertineit (PH Flensburg) gemeinsam den Vorsitz und führten die Kommission in den schwierigen Jahren der Veröffentlichung und Diskussion ihrer Empfehlungen von 1976. Die Entlassung Markiewiczs Ende 1984 als polnischer Vorsitzender der Schulbuchkommission hatte sich seit dem Sommer 1980 abgezeichnet: Kurz nach der großen Streikwelle und der Zulassung freier Gewerkschaften in Polen hatte er, der seit den 1950er Jahren über gute Kontakte in der PZPR verfügte, in einem Interview mit der Wochenzeitung Kultura sein Verständnis für die Massenproteste geäußert und die Erfolgspropaganda als eine „Verhöhnung der Intelligenz des Volkes“ kritisiert. Trotz seiner Ablösung blieb er einer der exponiertesten Köpfe der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission.
Noch bis vor wenigen Jahren forschte und lehrte Władysław Markiewicz, verfolgte aufmerksam Politik und Zeitgeschehen in Polen, Europa und der Welt. Der Titel seiner 2016 erschienen, in Interviewform konzipierten Autobiographie Sto lat przeciw głupocie [Hundert Jahre wider die Dummheit] ist deshalb auch programmatisch zu verstehen: Er spiegelt seine linken, liberalen Überzeugungen wider, mit denen er aktuelles politisches Handeln gegen den Strich bürstete. Bedauerlich, dass es ihm nicht vergönnt war, die Hundert Jahre zu vollenden.
Das GEI und die Gemeinsame Deutsch-Polnische Schulbuchkommission trauern um einen langjährigen Weggefährten, der die Ideen der deutsch-polnischen Verständigung und Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Bildung mit Leidenschaft und Überzeugung praktiziert hat. Seiner Familie gilt unsere tiefe Anteilnahme.