Transnationale Bildungsdiskurse – Religion im Fokus

An der Schnittstelle zwischen Religion und Bildungspolitik entwickeln die UNESCO, die OSZE/ODIHR und der Europarat normative Konzepte und Bildungsentwürfe und etablieren in einigen Fällen Kompetenzzentren für deren Verbreitung und Implementierung. Sie adressieren sowohl interreligiöse als auch religionskundliche Bildung und favorisieren „teaching about religion“ als (global) tragenden Zugang in der Bildung zur Religion.

Inzwischen wird davon ausgegangen, dass sich die Bildungspolitik von nationalstaatlichen Regierungen hin zu internationalen Organisationen verlagert (Martens/Wolf 2006) und dadurch eine Standardisierung lokaler Bildungswelten durch globale Eliten voranschreitet (Münch 2009). In diesem Prozess der „Selbstfindung jenseits der Nationalstaatlichkeit“ (Beck/Grande 2004) stellt der Bildungsbereich einen Brennpunkt dar. Davon ausgehend fragte das Projekt nach dem jeweiligen Religionsverständnis der ausgewählten internationalen Organisationen und untersuchte deren normativen und didaktischen Zugänge im Hinblick auf Religion im schulischen Bildungssegment.

Das Projekt schloß eine Forschungslücke, indem es erstens eine Analyse der bindenden und nicht nichtbindenden normativen Dokumente unternahm, die Religion explizit nennen und verorten. Dies ließ nachvollziehen, welche Rolle und welche Funktion Religion im globalen Rahmen spielt. Zweitens untersuchte das Projekt die didaktischen Zugänge, die sich anhand der global zugänglichen Handbücher und Manuals für Bildungspolitik, Lehrende und Lernende wie auch Schulbuchautor*innen untersuchen lassen. Aus diesen zwei Quellenarten wurde dann der Religionsbegriff wie auch die Bandbreite der thematisierten Religionen und Weltanschauungen im internationalen Diskurs rekonstruiert. Drittens wurden die genannten Organisationen im Hinblick auf die normativen Aussagen und didaktischen Konzepte verglichen. Eine Bündelung der Resultate dieser Untersuchungsschritte ermöglichte eine Aussage darüber, wie sich der Umgang mit Religion im schulischen Bildungssegment abhängig einerseits von der Prämisse harmonisierender globaler Weltgesellschaft und andererseits zunehmender Dominanz sicherheitspolitischer Positionen diachron verändert hat.

Die gesellschaftliche Relevanz des Projektes liegt darin, dass die hier zu untersuchenden Dokumente zugleich die zukünftige Gesellschaft antizipieren und bereits heute als Orientierung einzelnen bildungspolitischen Entscheidungsträgern im Rahmen der integrativen Schulfächer wie z.B. in Quebec, in der Schweiz und in Luxemburg dienen. Für die religiösen Akteur*innen weltweit spielen diese bildungspolitischen Entwicklungen eine herausragende Rolle, denn darin wird impliziert, dass einer Vielfalt der Zugänge zur Religion – wie wir diese heute kennen – eventuell eine bildungspolitische Homogenisierung der Zugänge entgegengesetzt werden sollte.

  • Ziele

    Das Ziel des Projektes war es, eine Forschungslücke zu schließen, indem die Rolle und Funktion der Religion im Bildungssegment internationaler Organisationen analysiert wurden. Diese wurde erschlossen erstens durch Analyse der bindenden und nicht nichtbindenden normativen Dokumente, die Religion explizit nennen und verorten. Zweitens durch die Untersuchung der didaktischen Zugänge im Hinblick auf Religion, die sich anhand der global zugänglichen Handbücher und Manuals für Bildungspolitik, Lehrende und Lernende wie auch Schulbuchautor*innen rekonstruieren lassen. Das dritte Ziel war es, die genannten Organisationen im Hinblick auf die normativen Aussagen und didaktischen Konzepte zu vergleichen.


  • Vorgehensweise

    Im Projekt wurde ein explorativer Mixed-Methods-Ansatz gewählt (Lamnek 2010), der es ermöglichte, die ausgewählten Quellen auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren. Entsprechend wurde vom diachronen Vergleich der Debatten, die diskursiv verortet sind, ausgegangen, während in einem weiteren Schritt mit dem DH-topic modeling, einem Verfahren der Themenmodellierung, gearbeitet wurde. Um die Religion im Bildungssegment zu rekonstruieren, wurden verschiedene Dokumente mit Hilfe der Inhaltsanalyse (Mayring 2008) analysiert und in eine Diskursanalyse mit soziologischem Schwerpunkt (Schwab-Trapp 2001) eingebettet. Die Strukturanalyse der Dokumente als erster Schritt der Inhaltsanalyse diente der Identifizierung und Artikulation von Themen, die eine diskursive Kontinuität aufweisen, und solchen, die im Laufe der Zeit in den Diskurs eintreten, sowie von Verschiebungen in der Argumentation. Im Rahmen der Strukturanalyse wurde nach Quellenart, Themen und Aussagen unterschieden: erstens nach normgebenden Dokumenten wie verbindlichen Konventionen und unverbindlichen Erklärungen und zweitens nach den Bildungshandbüchern. Um zu verstehen, wie in den einzelnen Passagen Religion und z. B. „teaching about religion“ verortet und gedeutet wird, wurde die Feinanalyse unternommen. In Anschluss daran wurden in der Analyse die wichtigsten Passagen thematisch kategorisiert und zusammengestellt. Dabei wurde ein induktiver Ansatz gewählt, der hinsichtlich des Zugangs zum Thema und der Kategorienbildung ergebnisoffen ist (Lamnek 1995). Im zweiten methodischen Schritt wurde mit dem DH-topic modeling gearbeitet. Hierfür hat Anna Lena Fehlhaber Topic Model entwickelt, das maschinell-lernend die verschiedenen identifizierten Themen mit einer Gewichtung versah und dadurch ihre Relevanz, Situiertheit und Bedeutung im Korpus quantitativ und qualitativ bestimmte. Künstliche Intelligenz identifizierte die Themen, die in einem Text angesprochen werden. Zudem wurde angegeben, welche quantitative Relevanz das Thema hat und mit welchen anderen Themen es zusammen genannt wird. Daraus ließen sich nicht nur Beziehungen zwischen Themen herstellen, sondern auch Veränderungen innerhalb von Texten oder in chronologischer Abfolge nachzeichnen. Das DH-topic modelling ermöglichte bei größeren Datenmengen die Aufdeckung von strukturellen Ähnlichkeiten, Mustern und Unterschieden im zeitlichen Verlauf und die Identifikation von semantischen Themenfeldern. Die Ergebnisse des Topic Models dienten der Orientierung für die anschließende qualitative Feinanalyse der einzelnen Texte.


  • Ergebnisse

    Abschlusstagung

    Unter dem Titel "Religion, Diversity, and Security. International Organizations and Religion in School Education" fand am 22 Juni 2023 die Abschlusstagung des Projekts statt.

    Publikationen

    • Zrinka Štimac (2022): Indigenous Peoples through the Lens of UNESCO.Religions 13(10), 957; DOI: 10.3390/rel13100957
    • Zrinka Štimac und Anna Lena Fehlhaber (2022): Die Rolle der Religion in der UNESCO-Bildungsarbeit. Normative und didaktische Impulse. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 1/22. DOI: 10.1007/s11618-022-01074-3
    • Zrinka Štimac und Indira Aslanova (2021): The Role of Securitization in the Relationship Between State and Religion – The Example of the Kyrgyz Republic. In: Anja Mihr (Hrsg.): Between Peace and Conflict in the East and the West. Studies on Transformation and Development in the OSCE Region. Cham: Springer, S. 117–137.
    • Zrinka Štimac (2020): Building a secular state. International organizations and religion in education. In: Elbakian E. S (Hrsg.): Secularism, Secularity and Religion: Historical, Legal and Philosophical Aspects. Kyrgyz Russian University, S. 116–126.
    • Zrinka Štimac (2019): Transnational Perspectives on Religion and on Textbook Research. In: David Käbisch (Hrsg.): Religion and Educational Research. National Traditions and Transnational Perspectives. Münster: Waxmann, S. 93–121.
    • Zrinka Štimac (2018): “Culture of Religions” – A Controversial Secular School Subject. British Journal of Religious Education 42 (1), S. 65–74.

    Workshop Global Governance, Religion und Bildung

    Der Online-Workshop im Rahmen des DFG-finanzierten Projektes „Transnationale Bildungsdiskurse: Religion im Fokus“ diskutierte, welchen Stellenwert Religion im Bildungssegment auf der Ebene der global agierenden internationalen Organisationen und deren Menschenrechtsdiskurse spielt.

    Präsentiert wurden die projektrelevanten methodischen und theoretischen Zugänge wie auch vorläufige Forschungsresultate zum Umgang der UNESCO, OSCE und des Europarates (CoE) mit Religion im Bildungssegment. Gemeinsam mit anwesenden Expert*innen wurde das work in progress diskutiert.

    Der Workshop beinhaltete auch mehrere Impulsreferate von Herrn Klaus Schilling (Deutsche UNESCO-Kommission), Prof. Dr. Anja Mihr von der OSCE Academy in Bischkek, Kirgisistan, und Prof. Dr. Karsten Lehman von der Universität Wien. Die Vortragenden gingen auf verschiedene Themen wie die Sustainable Development Goals, Global Governance und Menschenrechte und der interreligiöse Dialog bei den VN ein.

    Datum: 25.02.2021, 10:00-12:30
    Organisation: Dr. Zrinka Štimac
    Finanzierung: GEI

    Workshopmoderation

    Kann die Religions- und Weltanschauungsfreiheit nachhaltige Entwicklung fördern? BMZ und GIGA, 17.05.2021.

      DAAD-Kurzzeitdozentur an der Kyrgyz Russian Slavic University (KRSU)

      Kyrgyz Russian Slavic University, UNESCO-Chair in Culture and Religion, 01.02.–31.05.2020,
      Bischkek, Kirgisistan. 

      Interview

      Zrinka Štimac im Gespräch über Religionsforschung am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut:


    Projektteam

    • Zrinka Štimac | Projektleitung
    • Margarethe Vahldieck | stud. Hilfskraft
    • Oliver Wienert | stud. Hilfskraft
    • Philipp Ziemer | stud. Hilfskraft
    • Sören Meier | stud. Hilfskraft
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